Die Danziger Gedichtausgabe

1. Die Danziger Gedichtausgabe

Die Danziger Gedichtausgabe des Plavius ist uns komplett nur in einem einzigen Exemplar erhalten. Auf diesem Exemplar basieren alle Arbeiten und Werkausgaben der Vergangenheit: die Abschrift Herbert Sallets, auf die sich Sartors Untersuchungen stützen, ebenso wie die Edition von Heinz Kindermann. Das Exemplar befindet sich in der Staatsbibliothek Berlin. Gedruckt wurde es 1630 beim Danziger Rats- und Gymnasialverleger Georg Rhete. Sie ist in drei Teile unterteilt: Trawr=gedichte, Lehrsonnette und Treugedichte. Ursprünglich waren diese drei Teile als ein Werk konzipiert, bereits während des Setzens müssen sich jedoch Änderungen ergeben haben. Denn weder die Trawr=gedichte, noch die Lehrsonnette weisen eine durchgehende Seitennumerierung auf.

Bedauerlicherweise ist das Berliner Exemplar unvollständig. Es fehlt der erste Bogen der Treugedichte, der neben dem Gesamttitel und dem Titelblatt der Treugedichte wohl auch eine Einführung des Dichters in sein Werk und einige Widmungsgedichte enthielt1. Darüber hinaus ist es falsch zusammengebunden, wie sich aus dem Korrekturblatt im Anhang der Lehrsonnette ersehen lässt. Das Berliner Exemplar weisst folgende Reihenfolge auf2:

  1. Trawr=gedichte (8°: f. a² - a8, b8; keine Paginierung)
  2. Lehrsonnette (8°:f.aa8 - cc8, dd4; keine Paginierung)
  3. Treugedichte (8°: f. B8 - G8, H4; pp. 1-104)

Dagegen ordnet das Korrekturblatt die Gedichte wie folgt an: 1. Treugedichte, 2. Trawr=gedichte, 3. Lehrsonnette. Als erster hat darauf Manheimer hingewiesen3, Sartor hat sich dem angeschlossen4. Kindermann hat die Werke in seiner Ausgabe ebenfalls dementsprechend korrigiert5. Mit dem Korrekturblatt tilgte Kindermann in seiner Neuausgabe aber auch das Alibi für sein Vorgehen. Der heutige Titel "Trauer- und Treugedichte", wie er sich in Kindermanns Neudruck findet, stellt eine Rekonstruktion dar. Manheimer bezeichnete die Treugedichte noch als "Frewdengedichte"6.

Wie erst vor kurzem bekannt wurde, existiert noch ein weiterer Teildruck der Trauer- und Treugedichte. Er wurde 1996 in der Latvian National Library in Riga entdeckt. Das Exemplar enthält lediglich die Lehrsonnette. Fragen zur Anordnung oder Aufschlüsse über die fehlenden Teile des Berliner Exemplars liessen sich damit also nicht klären. Der Rigaer Druck ist mit den Lehrsonnetten des Berliner Exemplars identisch: Sie werden beide eingeleitet durch eine Titelseite mit umseitigem Widmungsblatt. Den Hauptteil bilden dann jeweils die 100 Sonette, den Abschluss ein strophisches Gedicht. Unter dem Ende des Abschlussgedichtes der Lehrsonnette findet sich noch eine Notiz des Druckers Georg Rhete mit Angabe der Jahreszahl (1630) und dem Hinweis, dass das Werk in Verlegung des Dichters herausgegeben wurde. Angehängt wurde vom Drucker schließlich das Korrekturblatt für alle drei Teile der Trauer- und Treugedichte. Dieses Korrekturblatt findet sich auch im Rigaer Exemplar, es ist also anzunehmen, dass es zusammen mit den Lehrsonnetten gedruckt wurde. Daraus ergibt sich dann auch, dass die Lehr=Sonnete zuletzt, als dritter und jüngster Teil, in Druck gingen.

Interessant am Rigaer Exemplar ist ferner die Gesellschaft, in der sich die Sonette des Plavius hier befinden: Sie bilden den dritten Teil eines Sammelbandes, dessen zwei erste Teile vom Poeten und Gelehrten Hermann Samsonius aus Riga stammen7. Man schloss daraus, wie auch aus der unvollständigen Paginierung des Berliner Exemplars, dass die Trauer- und Treugedichte des Plavius möglicherweise nie als komplettes Werk erschienen sind. Ursprünglich hatte Plavius sicher einen geschlossenen Sammelband vor Augen. Die Paginierung wurde vom Drucker jedoch bereits in den Trawr=gedichten aufgegeben. Vielleicht hat Plavius von Rhete schließlich nur lose Bögen erhalten, die er dann nur bei Bedarf zusammenheften ließ, um sie an Freunde und Bekannte weiterzugeben. Dies könnte die "verkehrte" Heftung des Berliner Exemplars erklären. Es könnte auch erläutern, warum die Lehr=Sonnete als Teilwerk nach Riga gelangten. Schließlich und endlich ließe sich damit erklären, warum die Trauer- und Treugedichte des Johannes Plavius heute zu den seltensten Drucken des deutschen Literaturbarock zählen.

Dass die Danziger Gedichtausgabe vielleicht nie als solche zustande gekommen ist, mag finanzielle Gründe gehabt haben. Die Notiz des Druckers am Ende der Lehrsonnette verweist darauf, dass Plavius seine Gedichte im Selbstverlag drucken ließ. Plavius war als einfacher Privatlehrer nicht vermögend. Anders als seine Zeitgenossen vermochte er es nicht, dauerhafte Gönner und Mäzene zu finden8.

Ein Nichtzustandekommen der Gedichtausgabe wirft natürlich brennende Fragen bei der Rezeption auf: Wenn die Gedichte als Band nie an eine größere Öffentlichkeit gelangten, wie ist es dann möglich, dass sie so oft zitiert wurden? Es ließe sich nur dadurch erklären, dass man notgedrungen nicht aus dem kompletten Gedichtband zitierte, sondern aus den früheren Kasualdrucken, besonders den Epithalamien, welche dank finanzstarker Unterstützung durch die Danziger Auftraggeber sicher eine größere Verbreitung erhielten. Andererseits könnten die Trauer- und Treugedichte auch in ihren drei Einzelteilen verschickt worden sein. Die Konsequenz wäre jedenfalls, dass Plavius im literarischen Bewusstsein seiner Zeitgenossen ein ganz anderer Dichter war, als er sich uns heute in den Trauer- und Treugedichten darstellt. Denn die noch erhaltenen Kasualdrucke des Plavius unterscheiden sich deutlich von ihren überarbeiteten Pendants in den Treugedichten. Ein adäquater Vergleich der Plavius-Zitate eines Harsdörffer9, Neumarck etc. mit den Originalen ist kaum möglich, da entsprechende Kasualdrucke nicht mehr erhalten sind. Von teilweise stark polemisch gefärbten Plavius-Zitaten auf entsprechend plumpe Vorlagen zu schließen, wäre nicht angebracht. Sofern sich die Kritik an Plavius auf frühere Versionen seiner Gedichte bezog, mag sie aber zutreffender gewesen sein, als sie uns heute jeweils im Rückgriff auf die Trauer- und Treugedichte erscheint. Diese schillern zwar immer noch, aber Plavius wendet die vielbeschworene Opitz'sche Verslehre hier häufig viel geschickter an.  Treugedichte >>


1Dies lässt sich jedenfalls einer handschriftlichen Notiz entnehmen. Vgl. Manheimer 1904, S. 128, Anm. 1.

2Vgl. hierzu den Artikel Plavius-Sonette in Riga, in: Wolfenbüttler Barocknachrichten, Jg. 23, Heft 2, S. 106-108.

3Vgl. Manheimer 1904, S. 128, Anm. 1, Abschnitt 3.

4Vgl. Sartor, S. 58.

5Vgl. Kindermann, S. 26.

6Vgl. Manheimer, ebd.

7Bei den beiden Werken des Samsonius handelt es sich um dessen Seelenschatz (Lübeck, 1620), sowie seine Lehrhaffte vnd wolgegründte Predigt (Riga, 1623). Vgl. Plavius-Sonette in Riga, S. 107.

8Eine der wenigen treuen Patrizier, Arnold von Holten, starb noch vor Drucklegung des Werks. Plavius verfasste zwei Epitaphe auf ihn (vgl. Treugedichte, S. 118f).

9Bei Harsdörffer findet sich auch eine Literaturangabe, die darauf hindeutet, dass ihm die Treugedichte vorlagen. Ihm Werkeverzeichnis seiner Frauenzimmergesprächspiele, Teil II, führt er auf: "Joh. PLAVIUS: Traur= und Treugedicht, 8, Dantzig. 1636" (Vgl. Neudruck, Bd. II, S. 484). Aus dem Titel lässt sich aber nicht erschließen, ob diese Ausgabe inhaltsgleich mit dem Berliner-Exemplar war. Möglicherweise fehlten Lehrsonnette und Korrekturblatt, so dass das korrekte Druckdatum (1630) nicht mehr ersichtlich war, oder aber, das Exemplar wurde erst 1636 zusammengebunden, und zwar (gemäß dem Titel) in der Reihenfolge des Berliner Exemplars, die Trawr=gedichte also vor den Treugedichten.